Architekten planen nicht nur Gebäude und überwachen die Bauarbeiten daran. Sie beraten auch Eigentümer von Immobilien oder Kaufinteressenten über anfallende Kosten bestimmter Maßnahmen wie den Umbau, die Sanierung oder gar den Abriss von Gebäuden. Ihre Aussage zu den dafür anfallenden Kosten ist die Entscheidungsgrundlage für den Ratsuchenden, die in vielen Fällen aber auch Banken oder Investoren zur Finanzierung vorgelegt wird. Oft werden finanzielle Entscheidungen (allein) auf der Grundlage einer solchen Kostenschätzung getroffen. Dabei stellt sich auch die Frage, wie weit die Aufklärungs- und Hinweispflicht des Architekten geht und für welchen Schaden er bei falscher Kostenschätzung haftet.
In der Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 30. April 2020 (Aktenzeichen 8 U 92/18) beauftragten die Kläger den Architekten (Beklagten), die voraussichtlichen Kosten für die Sanierung eines von den Klägern erst noch zu erwerbenden Gebäudes und alternativ dazu die voraussichtlichen Kosten für dessen Abriss und anschließenden Neubau zu ermitteln. Die voraussichtlichen Kosten für den Umbau waren nach der Berechnung des Beklagten zufolge deutlich geringer. Die Kläger entschieden sich die Immobilie zu kaufen und sie anschließend zu sanieren und zu modernisieren.
Nach weitgehender Beendigung der Sanierung stellten die Kläger jedoch eine Geruchsbelastung des Gebäudes fest. Eine Untersuchung auf Schadstoffe ergab, dass die Wandkonstruktion stark mit Formaldehyd belastet war und sich in der Wand- und Fußbodenkonstruktion Schimmel befand. Die Kläger stellten daraufhin die Sanierungsarbeiten ein und beabsichtigten stattdessen, das Gebäude abreißen und einen Neubau errichten zu lassen. Von dem Beklagten verlangten sie den Ersatz der ihnen entstandenen Sanierungskosten und die Kosten des Sachverständigen.
Das OLG hat den Klägern Recht gegeben. Zwar sei der Schaden noch nicht entstanden, weil die Kläger nach einem Abriss noch keinen Neubau errichtet hätten. Erst zu diesem Zeitpunkt sind die Sanierungsaufwendungen der Kläger nutzlos geworden und ihnen zu ersetzen. Die Kläger können jedoch feststellen lassen, dass der Beklagte verpflichtet ist den Schaden zu ersetzen, der ihnen entsteht, wenn die Kläger das Gebäude abreißen und anschließend neu errichten lassen.
Nach Ansicht des OLG war die Kostenberechnung des Beklagten über die Sanierung mangelhaft. Der Umfang der Aufklärungs- und Hinweispflicht des Architekten ist zwar stets von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig und er muss bei solchen Vorhaben nicht generell auf Kostensteigerungen hinweisen. Das OLG sah im konkreten Fall aber schon aufgrund des Herstellungsjahrs und der einfachen Ausführungsart der Immobilie derart klare Anhaltspunkte, dass der Beklagte unbedingt darauf hätte hinweisen müssen, dass diese mit Schadstoffen belastet sein könnte, was zu einem deutlich höheren Sanierungsaufwand führen würde. Daher wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, die wirtschaftlichen Belange der Kläger zu beachten und sie vor der Gefahr einer erheblichen Kostensteigerung noch vor der Investitionsentscheidung hinzuweisen.
Zugunsten der Kläger geht das OLG weiter davon aus, dass diese das Gebäude vernünftigerweise auf Schadstoffe hin untersuchen lassen und sich dann für den Abriss und den anschließenden Neubau entschieden hätten, wenn der Beklagte sie zuvor ordnungsgemäß aufgeklärt hätte. Diese Untersuchung hätte die Kläger sicher über die tatsächlichen Kosten der Dekontaminierung informiert und deren einzige vernünftige Reaktion darauf wäre für das OLG gewesen, sich von Beginn an für den Abriss und den Neubau und gegen die Sanierung zu entscheiden. Den Einwand des Beklagten, die Kläger hätten die Immobilie doch schon nicht gekauft und die Aufwendungen wären ihnen nicht entstanden, wenn seine Leistung fehlerfrei gewesen wäre, ließ das OLG nicht durchgreifen.
Im Ergebnis können die Kläger – wenn sie das Gebäude abgerissen und neu aufgebaut haben – von dem Beklagten die vollen Sanierungskosten als nutzlose Aufwendungen erstattet verlangen. Die Kläger müssen sich im Wege der Schadensminderung nicht auf Differenz zwischen den Kosten einer vollständigen Sanierung und denjenigen eines von vorherein in Angriff genommenen Abrisses und Neubaus beschränken lassen. Zwar mag bei Fertigstellung der Sanierung (inklusive Formaldehyd- und Schimmelbeseitigung) ein geringerer Vermögensschaden entstehen. Da die Berechnung des Beklagten den Klägern aber als Entscheidungsgrundlage dienen sollte, dürfen sie ihren Schaden so berechnen, als hätte sie der Beklagte von vorneherein richtig informiert.
Das Urteil zeigt, wie haftungsträchtig ein solcher Auftrag für den Architekten sein kann. Einen generellen Maßstab seiner Prüfungs- und Hinweispflicht gibt es nicht. Und der Vertrauensschutz des Auftraggebers, er habe sich bei seiner Entscheidung auf die Kostenschätzung des Architekten unbedingt verlassen, ist im Zweifel immer ein sehr beachtliches Argument mit möglicherweise sehr weitreichenden Folgen für den betroffenen Auftragnehmer. Abhilfe könnten hier möglicherweise ein vertraglich zuvor genau festgelegter Prüfungsmaßstab des Architekten, der genaue Verwendungszweck der Schätzung und die Vereinbarung einer Haftungsbegrenzung schaffen. Aber auch der Auftraggeber muss im Zweifel genau prüfen, ob und wenn ja welchen Schaden genau er gegen den Architekten geltend machen kann, sollte dessen Kostenschätzung tatsächlich fehlerhaft sein. Wir beraten Sie in solchen Fällen gerne.
Düsseldorf, 18. Mai 2021
Autor: Axel Kötteritzsch