Mit Urteil vom 22. Februar 2018 (Az. VII ZR 46/17) hatte der VII. Zivilsenat des BGH entschieden, dass es nicht mehr zulässig ist, einen Schadensersatzanspruch wegen Mängeln am Bauwerk auf Basis der voraussichtlich erforderlichen, aber noch nicht aufgewendeten (fiktiven) Mängelbeseitigungskosten abzurechnen. Es handelte sich um eine bahnbrechende Rechtsprechungsänderung, da der BGH die jahrzehntelang zulässige fiktive Abrechnung mit diesem Urteil aufgegeben hatte.
Die durch das Urteil ausgelöste Unsicherheit erfasste auch die laufenden Rechtsstreite des V. Zivilsenates beim BGH (zuständig für Kaufrecht). Mit Beschluss vom 13. März 2020 (Az. V ZR 33/19) fragte der V. Zivilsenat beim VII. Zivilsenat (zuständig für Bau- und Architektenverträge) an, ob es bei der Rechtsprechungsänderung bleibe und ob diese Änderung auch Auswirkungen für Kaufverträge habe. Mit (Antwort-)Beschluss vom 08. Oktober 2020 (Az. VII ARZ 1/20) führte der VII. Zivilsenat des BGHs aus, dass er an seiner Rechtsprechungsänderung festhalten möchte und eine unterschiedliche Behandlung von Werk- und Kaufverträgen geboten sei. Ein Unterschied zwischen den beiden Vertragsarten bestehe in der Sachmängelhaftung. Während einem Besteller im Werkvertragsrecht/Baurecht ein Vorschussanspruch für die Beseitigung von Mängeln zusteht, sieht das Kaufrecht für den Käufer keinen Vorschussanspruch vor. Es wäre daher unbillig, wenn der Käufer die Mängelbeseitigung der mangelhaften Kaufsache vorfinanzieren müsste, weil er nicht fiktiv auf Kostenvoranschlagbasis abrechnen könnte.
Die Gefahr der unangemessenen Überkompensation (die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten einstreichen, ohne die Mängel künftig beseitigen zu lassen) von Käufern und (Werk-)Bestellern ist laut BGH auch nicht vergleichbar, da die kaufrechtliche Nacherfüllung nach den Vorgaben des § 439 Abs. 4 Satz 2 BGB als unverhältnismäßig angesehen werden kann. Im Falle der Unverhältnismäßigkeit könnte ein Käufer als Schadensersatz nur den mangelbedingten Minderwert verlangen. Im Werkvertragsrecht gibt es für eine solche Begrenzung des Schadensersatzanspruchs nicht.
Dieser Ausführung schloss sich der V. Zivilsenat mit seinem Urteil vom 12. März 2021 (Az. V ZR 33/19) an. Folge ist künftig eine unterschiedliche Mängelhaftung von Kauf- und Werkverträgen.
Gegenstand des Verfahrens waren mögliche Schadensersatzansprüche der Kläger, die im Jahr 2014 eine gebrauchte Immobile (Eigentumswohnung) zum Preis von EUR 79.800,00 unter Ausschluss der Sachmängelhaftung vom Beklagten kauften. Im Kaufvertrag hieß es:
"Dem Verkäufer ist bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte es bis zum 31. Dezember 2015 erneut zu einer Feuchtigkeit im Schlafzimmer kommen, verpflichtet sich der Verkäufer, diese auf seine eigenen Kosten zu beheben".
Ende 2014 traten erneut Feuchtigkeitsschäden auf, die der Beklagte trotz Aufforderung unter Fristsetzung nicht behoben hatte. In der Klage verlangten die Kläger von dem Beklagten Zahlung der voraussichtlichen (fiktiven) Mängelbeseitigungskosten und bekamen nunmehr sowohl vom Landgericht Krefeld und Oberlandesgericht Düsseldorf, als auch vom BGH recht. Bei dem Erwerb gebrauchter Immobilien sind die praktischen Unterschiede zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht im Regelfall gering. Denn bei Mängeln, mit denen der Immobilienkäufer nicht oder jedenfalls deutlich schlechter "leben" kann als mit der mangelfreien Immobilie, hält der VII. Zivilsenat, wie er ausdrücklich klargestellt hat, die Schätzung des mangelbedingten Minderwerts anhand der Mängelbeseitigungskosten weiterhin für zulässig.
Zusammenfassend können Käufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes weiterhin entweder den Ausgleich des mangelbedingten Minderwertes oder den Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen, wobei es unerheblich ist, ob der Mangel auch tatsächlich beseitigt wird (auch eine fiktive Abrechnung ist möglich), während sich im Werk-/Bau-/Architektenrecht die fiktive Schadensberechnung anhand der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten verbietet. Hier hat der Besteller die Mängelbeseitigung vorzufinanzieren bzw. seinen Vorschussanspruch geltend zu machen.
Düsseldorf, den 15. März 2021
Autor: Rechtsanwalt Dennis Wiegard