Leitsatz
Bei der Kündigung eines Architekten- oder Ingenieurvertrags gemäß § 648 Satz 1 BGB durch einen Besteller, dem bei weiterer Durchführung des Vertrags ein Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r Abs. 1 BGB zugestanden hätte, umfasst der Anspruch gemäß § 648 Satz 2 BGB hinsichtlich nicht erbrachter Leistungen grundsätzlich nicht die Vergütung für Leistungen, die nach einer Vorlage der Planungsgrundlage mit einer Kosteneinschätzung zur Zustimmung gemäß § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB zu erbringen gewesen wären.
Sachverhalt
Die Klägerin (Ingenieurbüro) schloss mit der Beklagten einen Ingenieurvertrag über die Erbringung von Planungsleistungen. Die Klägerin sollte für den Neubau eines Bürogebäudes inkl. Industrie- und Lagerhalle die Leistungsphasen 1 bis 5 (Grundlagenermittlung, Vorplanung, Entwurfsplanung, Genehmigungsplanung, Ausführungsplanung) zu einem Pauschalhonorar von knapp EUR 40.000 erbringen. Das Honorar für die Leistungsphasen wurde prozentual in aufsteigender Reihenfolge der Leistungsphasen vereinbart: 0%, 9%, 17%, 2% und 22%.
Die Klägerin nahm ihre Tätigkeit auf. Im Anschluss von verschiedenen Beanstandungen der ersten Planungsleistungen kündigte die Beklagte den Vertrag fristlos ohne wichtigen Grund.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen für das gesamte Projekt (§§ § 650q, 631 Abs. 1, 648 Satz 2 BGB). Das Landgericht Frankfurt a.M. und das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. gaben der Klägerin im Wesentlichen recht. Die Beklagte wurde wegen der freien Kündigung zur Zahlung der Restvergütung verurteilt.
Entscheidung
Der BGH stellte im Rahmen der Revision hierzu folgendes klar:
Der Beklagten stand kein Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r Abs. 1 BGB zu. Der BGH hat klargestellt, dass das Sonderkündigungsrecht des Bestellers gemäß § 650r Abs. 1 BGB dem Wortlaut entsprechend erst nach Vorlage der Planungsgrundlagen nebst Kosteneinschätzung greift und nicht bereits in dem davorliegenden Zeitraum. Dem Besteller müssen Unterlagen (schriftliche Dokumentation) vorgelegt werden, die nach dem Inhalt als Planungsgrundlage nebst Kosteneinschätzung nach § 650p Abs. 2 Satz 2 BGB in Betracht kommen. Zielwirkung muss die Erwirkung der Zustimmung des Bestellers sein. Ein Sonderkündigungsrecht gemäß § 650r Abs. 1 BGB kam für die Beklagte daher vorliegend (noch) nicht in Betracht. Die Einordnung als freie Kündigung gemäß § 648 BGB war korrekt.
Jedoch war im vorliegenden Fall die Vergütung des Ingenieurs zu beschränken. Der BGH hat die Unterschiede zwischen einer freien Kündigung nach § 648 BGB und der Sonderkündigung nach § 650r Abs. 1 BGB später auf Rechtsfolgenseite aufgehoben. Trotz freier Kündigung kann der Ingenieur nur seine Vergütung bis zu dem fiktiven Zeitpunkt verlangen, zu dem eine Kündigung nach § 650r Abs. 1 BGB möglich gewesen wäre.
„Hat ein Besteller hiervon unabhängig bereits zuvor gekündigt, kann zum anderen unterstellt werden, dass er erst recht diese Kündigungsmöglichkeit ergriffen hätte.“
Dies verwundert insofern, da sich dies nicht aus der eigentlich anwendbaren Vorschrift § 648 BGB herleiten lässt. Dies folgt vielmehr aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 648 S. 2 BGB, der als Ausgleich der freien Lösungsmöglichkeit des Bestellers vom Vertrag verhindern will, dass dem Architekten/Ingenieur Vorteile aus dem geschlossenen Vertrag genommen werden, ihm jedoch nicht ermöglichen soll, aus der Kündigung Vorteile zu ziehen (mit Verweis auf BGH, Urteil vom 21.12.1995 – V II ZR 198/94).
Zu bedenken ist also, die gesetzliche vorgesehene Zielfindungsphase samt Sonderkündigungsrecht gilt auch ohne ausdrückliche Vereinbarung und kann bei freier Kündigung die Honorierung des Planers beschränken – wenn sie zuvor nicht individualvertraglich abbedungen wurde.
Düsseldorf, den 22. Juni 2023
Rechtsanwalt Dennis Wiegard