Erfahrungen & Bewertungen zu JASPER Rechtsanwälte
 |  Dr. Dieter Jasper, LL.M.

Verantwortlichkeiten bei Gebäudeeinsturz

In Düsseldorf-Friedrichstadt kam es am 27.07.2020 zu einem Gebäudeeinsturz. Zwei Bauarbeiter starben. An dem Gebäude sollten umfangreiche Sanierungsarbeiten, insbesondere der Umbau einer tragenden Wand stattfinden. Das Gebäude stand zuletzt leer. Entstehen sollten Büroräume und Eigentumswohnungen.

Der Bauherr hatte im Februar 2020 die (wohl unvollständigen) Planungen für sein Sanierungsvorhaben bei der Stadt Düsseldorf eingereicht. Nach einer Pressemitteilung der Stadt sei dem zuständigen Architekturbüro im Genehmigungsverfahren mehrfach die Gelegenheit gegeben worden, seine Pläne nachzubessern. Die letzten Unterlagen seien am 23. Juli 2020 vom Architekturbüro bei der Stadt eingereicht worden. Erst am frühen Nachmittag des Unglückstages habe das Bauaufsichtsamt die Baugenehmigung an den Bauherrn verschickt. Eine Baufreigabe sei aber nicht erteilt worden, weil der dafür erforderliche Standsicherheitsnachweis beim Amt nicht eingereicht worden sei.

Unklar ist bislang, welche Arbeiten am Gebäude konkret durchgeführt wurden und welche Ursache letztendlich zum Einsturz geführt hat. Denn nicht alle Arbeiten wie die Erneuerung von Türen, Fenstern und Elektroleitungen bedürfen einer Genehmigung.

I. Genehmigungsverfahren

Bauvorhaben bedürfen grundsätzlich der Genehmigung durch die zuständige Behörde, vgl. § 60 BauO NRW. Die Behörde prüft in dem Genehmigungsverfahren die Vereinbarkeit des Vorhabens mit baurechtlichen Vorschriften. Es gibt zwar auch genehmigungsfreie Vorhaben, vgl. § 62 BauO NRW. Die vorliegend geplante Sanierung mit einem Umbau einer tragenden Wand war jedoch nicht genehmigungsfrei. Daher bedurfte es zwingend einer vorherigen Baugenehmigung. Diese wurde dem Bauherrn quasi zeitgleich mit Beginn der Arbeiten erteilt.

Mit einer solchen Baugenehmigung ist aber nicht die Freigabe der Bauarbeiten verbunden. Dafür bedarf es einer separaten Baufreigabe. Erst danach darf mit den Bauarbeiten begonnen werden. Die Behörde stellt eine solche Baufreigabe erst dann aus, wenn gewisse Nachweise erbracht werden, wie z.B. der Standsicherheitsnachweis. Dieser ist ein Nachweis des Bauherrn, dass die Statik des Gebäudes auch während und nach den Arbeiten gewährleistet ist. Eine Baufreigabe, auch als „roter Punkt“ bekannt, gibt Auskunft über das Vorhaben, indem Namen und Anschrift des Bauherrn, des Planers und des ausführenden Unternehmens angegeben werden. Der „rote Punkt“ (Baufreigabeschein, Baustellenschild) ist sodann von der Straße aus gut sichtbar an der Baustelle anzubringen (siehe Anlage). Eine solche Baufreigabe fehlte bei den Arbeiten in Düsseldorf-Friedrichstadt, weil der Bauherr noch keinen Standsicherheitsnachweis eingereicht hatte.

II. Haftungsrechtliche Konsequenzen

1. Aus strafrechtlicher Sicht

Bei dem tragischen Unglück sind zwei Bauarbeiter ums Leben gekommen. Möglicherweise müssen sich der Bauleiter und darüber hinaus auch der Architekt sowie der Statiker strafrechtlich wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB und Baugefährdung gem. § 319 StGB vor Gericht verantworten. Nach eigenen Angaben ermittelt die Staatsanwaltschaft Düsseldorf.

2. Aus zivilrechtlicher Sicht

a) Ansprüche der Hinterbliebenen
Für Angehörige der verstorbenen Bauarbeiter könnten sich Ansprüche gegen den Bauleiter bzw. das Bauunternehmen und auch gegen den Architekten sowie den Statiker ergeben. Berücksichtigt werden muss bei der Haftung auch, dass hier ohne eine Baufreigabe gebaut worden ist. Möglicherweise lag bei Beginn der Arbeiten nicht einmal die Baugenehmigung vor, denn nach der Pressemitteilung der Stadt Düsseldorf ist diese erst am frühen Nachmittag des 27.07.2020 erteilt worden.

Nach § 844 Abs. 3 BGB haben Hinterbliebene, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, für das ihnen zugefügte seelische Leid einen Anspruch auf angemessene Entschädigung. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war. Für die Höhe des Anspruchs kommt es auf Art und Ausmaß des erlittenen Leids an, wobei der Gesetzgeber im Durchschnitt von einem ungefähren Betrag von 10.000 € ausgeht. Abweichungen nach oben und unten sind aber möglich.

Daneben kommt auch ein Anspruch für Schockschäden in Betracht, wobei dieser bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes nach § 844 Abs. 3 BGB berücksichtigt werden kann. Ein solcher Schadensersatz für Schockschäden ist dann ersatzfähig, wenn eine schwere Beeinträchtigung vorliegt. Die Beeinträchtigung muss über das übliche Maß an Trauer über den Tod eines Angehörigen hinausgehen (ansonsten allgemeines Lebensrisiko). Es müssen medizinisch konstatierbare Folgen eintreten, wie z.B. posttraumatische Belastungsstörungen.

Außerdem kommen Unterhaltsansprüche nach § 844 Abs. 2 BGB in Betracht. Auch die Beerdigungskosten können nach § 844 Abs. 1 BGB verlangt werden.

b) Ansprüche des Bauherrn
Für den Bauherrn können sich vertragliche und deliktische Ansprüche gegen den Bauleiter bzw. Bauunternehmer ergeben, da diese die Durchführung der Sanierungsarbeiten unmittelbar zu verantworten haben. Aber auch Ansprüche gegen den Architekten können nicht ausgeschlossen werden, wenn diesem bei der Planung des Bauvorhabens ein Fehler unterlaufen ist. Auch der Statiker ist möglicher Anspruchsgegner.

Der Einsturz des Gebäudes begründet auf Seiten des Bauherrn eine Eigentumsverletzung. Die Frage der fahrlässigen Pflichtverletzung wird man wohl bejahen müssen, auch angesichts der Tatsache, dass im vorliegenden Fall ohne eine Baufreigabe mit den Arbeiten begonnen wurde. Möglicherweise muss sich der Bauherr von seinem Anspruch aber einen Mitverschuldensanteil abziehen lassen, falls er sein Einverständnis zum Beginn der Bauarbeiten ohne Baufreigabe erklärt hat.

Vieles ist noch ungeklärt. Wir beobachten den Fall und seine Entwicklung weiter und berichten.

Düsseldorf, 31. Juli 2020

M. Sezer, Rechtsreferendar
Dr. D. Jasper, Rechtsanwalt

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